Downing Street hat sich überraschend von einem zentralen Vorhaben der britischen Digitalpolitik verabschiedet. Wie aus Regierungskreisen durchsickerte, verfolgt die Labourregierung von Premierminister Keir Starmer die geplante Regelung zur Entfernung sogenannter «legaler, aber schädlicher» Inhalte nicht weiter, wie der Daily Telegraph am letzten Wochenende meldete. Stattdessen wolle man sich auf den Kinderschutz im Netz konzentrieren. Beobachter sehen hinter der Entscheidung jedoch vor allem geopolitisches Kalkül: Die Regierung wolle eine Konfrontation mit den USA vermeiden, während sensible Handelsgespräche mit Washington laufen.
Der Hintergrund: Bereits im Jahr 2022 hatten die Konservativen ein entsprechendes Verbot angedacht, das soziale Medien verpflichtet hätte, Inhalte zu löschen, die zwar rechtlich nicht verboten, aber gesellschaftlich als potenziell gefährlich gelten – etwa Falschinformationen oder solche, die als falsch bezeichnet oder als politisch extremistisch eingestuft werden. Doch schon damals war das Vorhaben umstritten.
Kemi Badenoch, damals Handelsministerin und heute scharfzüngige Oppositionsführerin, hatte gewarnt, man könne damit «für verletzte Gefühle Gesetze machen». Auch in der Zivilgesellschaft regte sich Widerstand: Kritiker befürchteten, dass eine derartige Regelung zu weitreichenden Eingriffen in die Meinungsfreiheit führen könnte.
Nach den Krawallen im Sommer 2024, die unter anderem durch Falschmeldungen über einen mutmaßlichen Anschlag in Southport ausgelöst worden waren, hatte die Labour-Regierung das Gesetz erneut auf den Prüfstand gestellt. Eine Verschärfung wurde öffentlich erwogen, doch nun scheint man in der Downing Street Abstand davon zu nehmen. Medienberichten zufolge will Premierminister Starmer jegliche Provokation gegenüber den USA vermeiden – insbesondere gegenüber der Trump-Administration.
Vertreter aus Washington, darunter auch Vizepräsident J.D. Vance und Unternehmer Elon Musk, hatten in den vergangenen Monaten wiederholt Kritik an Großbritanniens Umgang mit der Meinungsfreiheit geübt. Besonders die Ermittlungen gegen Social-Media-Nutzer wie die konservative Journalistin Allison Pearson wurden laut Trump-nahen Stimmen als Beleg für eines «verengten Diskurses» auf der Insel bezeichnet. Zwar seien Regelungen zur Online-Regulierung offiziell nicht Teil der aktuellen Handelsgespräche, dennoch sei das Thema Insidern zufolge immer wieder indirekt zur Sprache gekommen.
Ein Regierungsmitarbeiter bestätigte nach Angaben britischer Medien, dass man aus Rücksicht auf die diplomatische Lage keine neuen Kontroversen riskieren wolle. Die laufenden Verhandlungen über die Aufhebung amerikanischer Strafzölle hätten oberste Priorität. Ein erneuter Streit über Grundrechte könne den Fortschritt gefährden.
Technologieminister Peter Kyle arbeite derzeit an Alternativen zur ursprünglichen «legal but harmful»-Regelung. Statt Zensurmaßnahmen gegen zweifelhafte Inhalte zu erlassen, solle der Fokus künftig auf dem Schutz Minderjähriger liegen. So sollen Webseiten ab Sommer gesetzlich verpflichtet werden, Altersverifikationen für Inhalte mit sexuellem oder gewaltverherrlichendem Charakter einzuführen. Weitere Maßnahmen würden derzeit geprüft.
Ein Sprecher der Regierung betonte, dass das Online Safety Act weiterhin zentrale Ziele verfolge – insbesondere den Schutz von Kindern vor problematischen Inhalten wie Selbstverletzung oder Essstörungen. Zudem wolle man gewährleisten, dass strafbare Inhalte im Netz genauso behandelt würden wie im realen Leben. Das umstrittene Zensurvorhaben gehöre jedoch nicht länger zur Tagesordnung.
Wirtschaftsminister Jonathan Reynolds erklärte, dass die US-amerikanische Kritik an der Meinungsfreiheit im Vereinigten Königreich bislang keinen materiellen Einfluss auf die Gespräche über Handelsabkommen gehabt habe. Man sei stolz auf die britische Tradition der freien Rede und zuversichtlich, dass dies nicht zu einem Hindernis für eine «produktive und starke Partnerschaft» mit den USA werde.
Insgesamt wird der Schritt als pragmatische Entscheidung gewertet, als eine Art geopolitischer Realpolitik. Zwar betone die Regierung weiterhin ihr Engagement für ein sicheres Internet, doch die Prioritäten hätten sich klar verschoben: Nicht der Kampf gegen Desinformation, sondern der Abschluss eines für die Wirtschaft essenziellen Handelsdeals mit den USA stehe nun im Vordergrund.